Inhaltsverzeichnis:
- UX 💚 Earth Day: Wie können wir Menschen zu nachhaltigem Verhalten motivieren?
- Die Selbstbestimmungstheorie kann intrinsisch motiviertes Verhalten im UX Design fördern
- Kompetenzerleben, Autonomieerleben und soziale Eingebundenheit
- Evaluation der Nützlichkeit
- Auch wichtig: Etwas Abstraktes begreifbar und erlebbar machen
UX 💚 Earth Day: Wie können wir Menschen zu nachhaltigem Verhalten motivieren?
Heute ist Earth Day! Ein guter Anlass, dass wir uns auch heute nochmal aktiv fragen können wie wir Technologien so gestalten können, dass sie einen positiven Einfluss auf unsere Umwelt haben bzw ökologisch nachhaltig sind.
Zwei schnelle Ideen:
- Technologien sollten auch für ältere Endgeräte und schlechte Internetverbindungen accessible/benutzbar bleiben: Dies vermeidet Elektroschrott und ist auch der Zugänglichkeit dienlich. Darunter fällt auch das Right to Repair.
- Wir können Nutzer*innen die Möglichkeit geben, umweltschonendere Entscheidungen zu treffen bzw. nachhaltigere Verhaltensweisen anzustreben. Matthias Laschkes Forschungthema pleasurable troublemakers bietet hier eine wahre Fundgrube an Inspiration und tollen Produkten, die der Nachhaltigkeit gewidmet sind. Einer unserer persönlichen Favoriten ist der Shower Kalender.
Auf diesen gehen wir kurz näher ein, da sie aus UX Perspektive super interessant ist:
Der Shower Kalender soll helfen, den eigenen Wasserverbrauch zu beobachten, zu reduzieren und somit nachhaltiger zu leben und auf diese Weise einen Beitrag zur Schonung der Umwelt zu leisten. Es handelt sich dabei um eine interaktive Visualisierung – die Daten stammen aus dem jeweilig aktuellen Wasserverbrauch. Wie das genau funktioniert wird auf Dr. Laschkes Webseite erklärt.
Die Selbstbestimmungstheorie kann intrinsisch motiviertes Verhalten im UX Design fördern
Das interessante dabei ist, dass bei der Gestaltung des Kalenders ein Ansatz einer humanistischen Perspektive auf die Motivationspsychologie verfolgt wurde – nämlich den Ansatz eines eher intrinsisch – statt extrinsisch – motivierten Verhaltens. Dies wird dadurch erreicht, indem der Kalender die drei in der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan (1987,2000) entwickelten Grundbedürfnisse erlebbar macht, welche wären:
- Kompetenzerleben: Man fühlt sich kompetent und erfolgreich bei der Verfolgung von Zielen (adressiert die Selbstwirksamkeit)
- Autonomie-Erleben: Man erlebt sich als Verursacher der eigenen Handlung, man kann selbst bestimmen was man tut und ist nicht fremdbestimmt
- Das Erleben von sozialer Eingebundenheit: Man fühlt sich in eine soziale Gruppe eingebunden und verbunden.
Kompetenzerleben, Autonomieerleben und soziale Eingebundenheit
Kompetenzerleben
Das Kompetenzerleben wird durch das unmittelbare, direkte Feedback und die somit erlebte Selbstwirksamkeit vermittelt („Das bekomm ich hin“): Wenn man zu lange duscht und somit zu viel Wasser verbraucht , wirkt sich dies unmittelbar auf die Visualisierung aus, und gibt so die Möglichkeit noch gegenzusteuern und das Verhalten gemäß dem ggf. gesetzten Ziel noch zu ändern. Der Wunsch zur Veränderung des Verhaltens kann somit zudem angeregt werden. Somit nimmt man sich selbst als aktives, handelndes Wesen wahr. Der Kalender unterstützt somit das Menschenbild welches sich von der Selbstbestimmungstheorie (Ryan & Deci, 2000) ableiten lässt, welches postuliert, dass Menschen „eine Tendenz zur Entwicklung haben (psychologisch) zu wachsen“.
Autonomieerleben
Das Erleben von Autonomie und Wahlfreiheit wird dadurch erreicht, dass der Kalender nicht direkt das Verhalten reguliert – also nicht vorschreibt, was man zu tun hat. Es ist die eigene, selbst initiierte Handlung notwendig. Der Kalender gibt mir als Person durch Einsicht in mein Verhalten die Möglichkeit mich zu ändern. Dahinter liegt das Prinzip:„Du kannst“ statt „du sollst“. Er lässt den Personen also die Wahl: Dies fängt bereits damit an, dass man sich selbst entscheiden muss, den initialen Knopf zu drücken, damit die Messung überhaupt startet oder ob man dies sein lässt. Dieser Aspekt der Wahlfreiheit kann gemäß der Selbstbestimmungstheorie (Deci& Ryan, 1987) intrinsische Motivation fördern (vgl. z.B Dorsch – Lexikon der Psychologie ,17. Aufl., S. 1491. Verlag Hans Huber). Der Kalender gibt auch keine konkrete Anleitung zum Wassersparen. Er gibt uns lediglich Rückmeldung über unseren aktuellen und vergangenen Wasserverbrauch. Stark hervorgehoben wird zudem die Gestaltung der ambigen Rückmeldung. Laschke et al. (2011) nennen das „ambient Feedback“. Die Rückmeldung ist also weder paternalistisch, noch wertend oder penetrant-nervig, sondern passiert eher „nebenbei“. Man fühlt sich von dem Kalender-Feedback nicht genötigt, unter Druck gesetzt oder gar kontrolliert, was auch wieder eines eher intrinsisch motivierten Verhaltens zuträglich ist (vgl. Dorsch – Lexikon der Psychologie ,17. Aufl., S. 1491. Verlag Hans Huber).
Soziale Eingebundenheit
Die soziale Eingebundenheit wird durch „gamification“ Ansätze erlebbar, d.h. der Kalender lädt ein, mit z.B Familienmitgliedern oder Mitbewohner*innen, die den Kalender auch nutzen, in Wettbewerb zu treten. Dadurch wird der Kalender auch zum Gesprächsthema z.B beim gemeinsamen Essen (vgl. Laschke et al., 2011). Dies kann sich positiv auf die Befriedigung des Basisbedürfnisses nach Zugehörigkeit (Deci & Ryan, 1987) auswirken. Man kann als Gruppe ein Ziel verfolgen – nämlich nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser zu üben und sich über gemeinsame Erfolge freuen.
Unabhängig von den drei Faktoren wird durch die Visualisierung des Verbrauchs nicht das „Fehlverhalten“ ästhetisiert. Dies wird erreicht, indem z. B langes Duschen (also viel Verbrauch) zu einer wenig „hübscheren“ – bzw. kargeren Visualisierung auf dem Display führt: die Punkte, die den Duschgang repräsentieren werden also bei viel Verbrauch kleiner. Die Gestaltung der interaktiven Grafik ist also im Endeffekt so angelegt, dass die Reduktion des Wasserverbrauchs dadurch ästhetisiert (bzw. „belohnt“) wird, dass man am Ende ein buntes, reichhaltiges Muster auf dem Display hat. “Gutes” Verhalten wird also mit einem reichhaltig anmutendem Display ästhetisiert während nicht erwünschtes Verhalten eher in einer „kargen“ weniger ästhetischen /hübschen Darstellung mündet.
Evaluation der Nützlichkeit
Evaluiert wurde ein Prototyp des Kalenders im Übrigen auch. Er wurde in zwei Haushalten getestet. Konkret erwähnten die Teilnehmer*innen, dass der Kalender an ihren Ehrgeiz, sich zu verändern, appellierte, was zu einer persönlichen Zielsetzung führte (Laschke et al., 2011). Zudem wurde auch über positiv über das Anschlussmotiv berichtet „[…] Beyond resulting feelings of achievement, competence and control due to the improvement, its “social features” (individualization, persistence) led to communication and competition, and in the case of success, to feelings of popularity and acceptance.“ (Laschke et al. 2011).
Auch wichtig: Etwas Abstraktes begreifbar und erlebbar machen
Wasserverbrauch ist ziemlich schwer einzuschätzen. Aber durch diese Visualisierung des täglichen Wasserverbrauchs beim Duschen mittels der unmittelbaren Rückmeldung über das Verhalten wird auch der zuvor eher abstrakte Wasserverbrauch für die Personen erlebbar und “greifbar“. Er wird also von einem abstrakten Konzept (schweres Abschätzen des Verbrauchs) in etwas “konkretes” überführt, was ich als Person über einen Zeitverlauf sehen und somit begreifen kann. So kann nachaltiges Verhalten verinnerlicht und somit auch gefördert werden.
Was fällt euch noch ein, wie wir Technologie nachhaltiger gestalten können?
Literatur
Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1987). The support of autonomy and the control of behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 53(6), 1024–1037. https://doi.org/10.1037/0022-3514.53.6.1024
Matthias Laschke, Marc Hassenzahl, Sarah Diefenbach, and Marius Tippkämper. 2011. With a little help from a friend: a shower calendar to save water. In CHI ’11 Extended Abstracts on Human Factors in Computing Systems (CHI EA ’11). Association for Computing Machinery, New York, NY, USA, 633–646. DOI: https://doi.org/10.1145/1979742.1979659
Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2000). Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. American Psychologist, 55(1), 68–78. https://doi.org/10.1037/0003-066X.55.1.68
Shower Calendar auf der Webseite von Dr. Laschke. http://www.pleasurabletroublemakers.com/shower-calendar (hier gibt es auch ein Demovideo zur Visualisierung zu sehen)
Bildnachweis: Ilustration im Artikelbild Event illustrations by Storyset